Martha Stettler (1870–1945 )
Geboren in eine bürgerliche Familie, war ihr Vater Eugen Stettler – Architekt des Kunstmuseums Bern – ihr erster Mentor und Förderer. Schon früh zeichnete Martha die Skulpturensammlung des Museums nach. Von 1886 bis 1891 besuchte sie die Kunstschule Bern unter Wilhelm Benteli und Paul Volmar, bevor sie 1892 zur École des Beaux-Arts in Genf zu Léon Gaud und Henri Hébert wechselte.
1893 zog Stettler nach Paris zum Studium an die Académie Julian. Von 1894 bis 1898 lernte sie bei Luc-Olivier Merson und ab 1899 bei Lucien Simon – letzterer prägte sie stark in Lichtverwendung und impressionistischem Stil. Stettler beschrieb diesen Einfluss als «Aus dem dämmerigen Zimmer in den Sonnenschein».
1904 gründete sie mit ihrer Lebenspartnerin, der deutschbaltischen Malerin Alice Dannenberg, die Académie de la Grande Chaumière in Montparnasse – eine offene, unkonventionelle Kunstschule. Ab 1909 bis 1943/45 leiteten die beiden gemeinsam die Akademie, die für ihre zugänglichen Kurse (z. B. "Croquis à cinq minutes") bekannt war und berühmte Absolventen wie Alberto Giacometti, Meret Oppenheim, Louise Bourgeois und Balthus anzog.
Stettler begann 1897 im Pariser Salon auszustellen – u. a. im Salon des Indépendants, Salon des Tuileries und bei der Société Nationale des Beaux-Arts, deren assoziiertes Mitglied sie 1912 wurde. Sie erhielt 1910 eine Medaille auf der Weltausstellung in Brüssel, war eine der ersten Frauen überhaupt mit internationalem Erfolg, und 1920 war sie als erste Schweizerin auf der Biennale in Venedig vertreten.
Ihre bevorzugten Motive waren Freilichtszenen mit spielenden Kindern im Jardin du Luxembourg und Tuilerien-Garten, Interieurs, Stillleben, Berglandschaften sowie gelegentlich Porträts und Tierstudien. Ihre Bilder bestechen durch lichtdurchflutete, aufgelöste Pinselstriche und eine moderate impressionistische Atmosphäre.
Nach 1920 liess ihre Schaffenskraft nach; sie zog sich mehr auf ihre Rolle als Akademieleiterin zurück. Sie starb 1945 unerwartet in Châtillon (Paris) an einer Lungenentzündung. 1946 widmete ihr die Kunsthalle Bern eine grosse Gedenkausstellung. In den folgenden Jahren geriet ihr Werk jedoch zunehmend in Vergessenheit. Erst späte Retrospektiven – etwa 2018 im Kunstmuseum Bern – und neue Forschungen machten sie wieder sichtbar.